„Die Dryade“ lässt Grenzen verschwimmen

Elisabeth Hatscher bringt das Material Filz als Rohwolle mit auf den „Hahn“ und nennt ihr Objekt „Die Dryade“, das die Besucher:innen zum Staunen bringt.
„Die Dryade“ stammt aus der Welt der Fantasie. Hatscher gibt ihr die Bezeichnung „mysteriöser Naturgeist“ und verwurzelt sie in die Tradition der griechischen Mythologie der Baumnymphen. Die Besucher:innen der Kunstroute sollen frei assoziieren, wenn sie der „Dryade“ begegnen, sich individuelle Geschichten oder Erlebnisse ausdenken. Dabei lässt das Licht, der Schatten im Wald oder das Wetter „Die Dryade“ in ihren warmen Erdtönen farbig changieren.
Die Künstlerin: „Das Filzobjekt lässt die Grenzen zwischen Mensch und Tier, Realität und Mythos verschwimmen.“
Die Kuratoren: „Der Ansatz von Hatscher, Kultur als Fenster zur ‚Natur‘ zu definieren und zu erforschen, welchen Einfluss Kultur auf die Wahrnehmung der ‚Natur‘ hat, ist sehr überzeugend.“Hatscher studierte freie bildende Kunst an der Städelschule in Frankfurt am Main und war Meisterschülerin von Christa Näher. Sie lebt und arbeitet in Diefenbach.

Elisabeth Hatscher

„Die Dryade – Eine Begegnung im Wald“

In Erinnerung an meinen langjährigen Spaziergefährten Blacky (2010-2023)
Der Herbst hatte den Wald in ein Farbenmeer aus Rot-, Orange- und Gelbtönen getaucht. Doch an diesem Tag war die Sonne vom dichten Nebel verschluckt worden, der die Landschaft in ein undurchdringliches Grau tauchte, in dem die Farbenpracht verstummte. Die Blätter knisterten leise unter meinen Wanderschuhen, als ich mich mit meinem treuen Begleiter Blacky, einem schwarzen Schäferhund, auf unseren Spaziergang machte. Der Nebel hing schwer über dem Boden, sodass die Sicht kaum mehr als anderthalb Meter betrug. Um sicherzugehen, dass Blacky nicht zu weit vorauslief und außerhalb meiner Reichweite geriet, hatte ich ihn an eine kurze Leine genommen.
Die Stille des Waldes war beinahe greifbar. Kein Rascheln der Blätter, kein Vogelgesang, nicht einmal ein Hauch von Wind, der durch die Baumwipfel strich. Nur das gedämpfte Geräusch unserer Schritte durchdrang die Stille. Es fühlte sich an, als wäre ich gefangen in einem stillen, nebligen Traum.
Plötzlich spürte ich, wie Blacky sich an der Leine zurückzog und zu mir eilte. Das war ungewöhnlich für ihn, normalerweise zog er mich energisch durch den Wald, ohne auf meine Aufforderungen zu achten. Sein Knurren klang tief und bedrohlich, und ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Etwas Unbekanntes lauerte da draußen im Nebel.
Ich nahm die Leine noch kürzer und flüsterte beruhigende Worte. Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich mich vorsichtig vorwärts bewegte. Und dann, aus der undurchdringlichen Nebelwand, tauchte es auf: ein Wesen, das jede Vorstellungskraft sprengte.
Es war groß, mindestens zwei Meter hoch, und hatte eine Gestalt, die weder Mensch noch Tier zuzuordnen war. Sein Körper war von dichtem Fell bedeckt, und sein Gesicht blieb verborgen. Eine Mischung aus Ehrfurcht und Furcht überkam mich, als ich das Wesen anstarrte.
Die Erscheinung bewegte sich langsam auf uns zu, und ich spürte, wie Blacky sich noch enger an mich presste, sein Knurren verstummte. Das Wesen strahlte eine seltsame Ruhe aus. Es sprach nicht, doch ich konnte eine unerklärliche Verbindung zu der uralten Magie des Waldes spüren. Die Zeit schien stillzustehen, während das Wesen und ich uns in einem stummen Dialog befanden.
Nach einer zeitlosen Weile wandte sich das Wesen ab und verschwand wieder in den Nebelschwaden, so leise und geheimnisvoll, wie es aufgetaucht war. Blacky entspannte sich, und auch ich fühlte eine innere Ruhe. Es war, als hätte uns das Wesen seinen Segen gegeben.
Wir setzten unseren Spaziergang fort, die Welt um uns herum noch immer von Nebel umhüllt. Doch dieser Nebel war nun mehr als nur ein meteorologisches Phänomen – er war ein Teil des mystischen Waldes geworden, ein Zeuge unserer Begegnung mit dem unbekannten Wesen.
Ich wusste, dass ich diese Geschichte niemandem erzählen konnte, ohne für verrückt gehalten zu werden. Aber tief in meinem Herzen spürte ich, dass sie real war. An diesem Herbstnachmittag hatte ich nicht nur einen Spaziergang mit meinem Hund gemacht. Ich hatte eine Verbindung zum Geheimnis des Waldes erlebt, zu einer Welt jenseits unserer Vorstellungskraft. Und in dieser Welt würde ich immer einen besonderen Platz für das Waldwesen haben, das uns inmitten des Nebels begegnet war.